Braucht die deutsche Energiewende französischen Atomstrom? – Eine Momentaufnahme des Deutsch-Französischen Stromhandels

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Braucht die deutsche Energiewende französischen Atomstrom? – Eine Momentaufnahme des Deutsch-Französischen Stromhandels

Berlin, 17.02.2022 – Zum Ende des Jahres werden in Deutschland die letzten drei Atomreaktoren stillgelegt und damit hierzulande der vollständige Ausstieg aus der Atomenergie realisiert. Das nächste Etappenziel auf dem Weg zu einer vollständig „grünen“ Volkswirtschaft ist der angestrebte Ausstieg aus der Kohleverstromung noch vor dem Jahr 2030. In Frankreich, mit seinen 56 Atomkraftwerken, sieht der Dekarbonisierungsweg gänzlich anders aus. Angetrieben von den Rahmenbedingungen der EU-Taxonomie wird dort an der Atomenergie nicht nur festhalten, sondern diese soll sogar aktiv und großflächig ausgebaut werden. Droht vor dem Hintergrund der schleppenden Dynamik der deutschen Energiewende damit der umfangreiche Import von französischem Atomstrom?

Die Europäische Kommission hat mit der Verordnung zur EU-Taxonomie für eine Wiederbelebung der Kernenergiebranche gesorgt. Der französische Präsident Emmanuel Macron spracht jüngst sogar von einer “Renaissance der zivilen Atomkraft” in Frankreich. Bis zum Jahr 2050 sollen, gefördert durch Milliarden Euro öffentlicher Mittel, sechs Reaktoren der neusten Generation gebaut werden, der Bau von acht weiteren geprüft werden. Durch den Ausbau von erneuerbaren Energien und Laufzeitverlängerung der bereits heute im Betrieb befindlichen Atomreaktoren von 40 auf 50 Jahren, soll die Zeit und der Energiebedarf bis dahin überbrückt werden.

Ob diese Rechnung aufgehen wird, scheint bei den störanfälligen Alt-Reaktoren dahingestellt. So wurden seit Ende letzten Jahres bereits drei Reaktoren aufgrund von festgestellten Mängeln bei Routineuntersuchungen durch den französischen Energiekonzern EDF vom Netz genommen. Diese ungeplanten Abschaltungen führen dazu, dass die AKWs nicht die prognostizierten Strommengen liefern können und Frankreich seitdem auf Stromlieferungen aus dem Ausland angewiesen ist.

Ein Blick auf die Stromhandelsmengen zwischen Deutschland und Frankreich seit Beginn des Jahres 2022 untermauert dies mit konkreten Zahlen. So liegt seitens Deutschlands zum 13.2.2022 ein Strom-Exportüberschuss von rund 3 Millionen Megawattstunden (MWh) vor. Diese Energiemenge entspricht dem Strombedarf von ca. 1 Million Zwei-Personen-Haushalten über ein gesamtes Jahr. Zum Vergleich hat es im vergangenen Jahr 2021 einen Stromexportüberschuss Deutschlands in Summe von 17 Millionen MWh in seine Nachbarländer gegeben, davon über 6 Millionen MWh allein nach Frankreich. [1]

AWE Grafik: Deutsch-Französischer Stromhandel

Die Betriebsprobleme der französischen AKWs führen also dazu, dass Frankreich derzeit kaum noch Strom ins Ausland bzw. nach Deutschland exportiert. Das ein Strom-Export überhaupt stattfinden, ist hauptsächlich durch die Integration in das europäischen Strom-Netzverbundes zu erklären. Dies führt auch dazu, dass Deutschland im stürmischen Frühjahr zu einem Großexporteur von insbesondere Windstrom geworden ist, wie die Grafik der Informationsplattform der Bundesnetzagentur über den deutschen Strommarkt (SMARD) verdeutlicht. Darauf ist zu erkennen, wie der Strom-Export nach Frankreich insbesondere zu Zeiten hoher Windenergie- Ernte steigt und zu Zeiten geringer Erträge proportional wieder abnimmt.

SMARD Grafik zur Stromerzeugung und -handel (1.1. -13.2.2022)

Es ist nicht abzusehen, dass die generellen Betriebsprobleme der französischen AKWs, welche auf die bereits hohen Betriebsalter zurück zu führen sind, kurz- oder mittelfristig behoben werden. Vielmehr ist anzunehmen, dass es bei den Reaktoren gleicher Bauart nach und nach zu den gleichen bzw. ähnlichen technischen Problemfällen und Betriebsstörungen kommen wird, die eine Abschaltung der jeweiligen Atomreaktoren erfordern. Das würde die beschriebene Import-Abhängigkeit Frankreichs, zumindest vorübergehend, weiter verschärfen.

In der Zwischenzeit werden Betreiber deutscher Windenergieanlagen gut am Export ihres Stromes ins Nachbarland verdienen. Mit der Abschaltung der deutschen Kohle- und Atommeiler wird jedoch in der Tat einen Leistungsabfall im deutschen Stromnetz zu verzeichnen sein. Um den erneuerbaren Strom dann im Erzeugungsland zu halten, wird, neben dem weiterhin notwendigen massiven Ausbau regenerativer Erzeuger, der intelligente Ausbau des deutschen Stromnetzes sowie die forcierte Forschung und Entwicklung von festen und flüssigen Energiespeichern zu einer Notwendigkeit.

Die Besinnung auf alte bzw. bekannte Technologien, wie der Atomkraft, für die Erreichung der Klimaziele ist dabei jedoch aus mehreren Gründen fatal. Uran ist als Brennmittel für Kraftwerke, ebenso wie Kohle, Öl und Gas, eine gleichermaßen endliche Ressource und die Endlagerproblematik der Atom-Brennstäbe ist bis heute und vermutlich auch für mehrere tausend Jahre ungelöst. Bedauerlicherweise werden durch die EU-Taxonomie Investitions-Fehlanreize gesetzt und erneuerbare Energien müssen mit Gas- und Atomkraft um wichtige Finanzmittel konkurrieren. Der breite Nachhaltigkeitsbegriff in der EU-Taxonomie führt schlussendlich zu Zielkonflikten bei der Erreichung des gemeinsamen Ziels der Reduktion von Treibhausgasemissionen.  

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[1] https://www.agora-energiewende.de/service/agorameter/chart/power_import_export/01.01.2021/31.12.2021/today/