Historisches Klima-Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Klimaschutz ist ein Grundrecht!

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Historisches Klima-Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Klimaschutz ist ein Grundrecht!

Berlin, 07.05.2021 – Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat am 29. April 2021 in seiner einstimmigen Entscheidung das Recht auf Klimaschutz unter Bezug auf das Grundgesetz (GG) Art. 2 Abs. 2 Satz 1 („Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“) und Art. 20a („Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen …“) anerkannt und das Bundes-Klimaschutzgesetz vom 12. Dezember 2019 teilweise für verfassungswidrig erklärt, weil es die Rechte künftiger Generationen unzureichend schützt.
Der Gesetzgeber ist verpflichtet, das Klimaschutzgesetz bis zum 31.12.2022 nachzubessern.

Gegen die völlig unzureichende deutsche Klimaschutzpolitik haben sich insgesamt vier Verfassungsbeschwerden von Jugendlichen und Erwachsenen aus dem In- und Ausland gerichtet. Unterstützt wurden die Verfahren durch den Solarenergie-Förderverein Deutschland (SFV), dem BUND, der Deutschen Umwelthilfe (DUH) sowie von Greenpeace, Germanwatch und Protect the Planet.

Das Bundesverfassungsgericht hat die unzureichende Umsetzung des internationalen Klimaabkommen von Paris in die nationale Gesetzgebung – dem Klimaschutzgesetz vom 12.12.2019 – festgestellt. Gestützt hat es sich hier auch auf die Analysen des Sachverständigenrats für Umweltfragen (SRU), welcher die Bundesregierung seit 1972 zur Umweltpolitik berät.

In der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts vom 29.04.2021 heißt es.:

Das verfassungsrechtliche Klimaschutzziel des Art. 20a GG ist dahingehend konkretisiert, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur dem sogenannten „Paris-Ziel“ entsprechend auf deutlich unter 2 °C und möglichst auf 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen.
Um das zu erreichen, müssen die nach 2030 noch erforderlichen Minderungen dann immer dringender und kurzfristiger erbracht werden. Von diesen künftigen Emissionsminderungspflichten ist praktisch jegliche Freiheit potenziell betroffen, weil noch nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgasen verbunden und damit nach 2030 von drastischen Einschränkungen bedroht sind.“

Im Klartext bedeutet dies: Die aus den Pariser Klimazielen noch zulässigen Treibhausgasemissionen wären bis zum Jahr 2030 weitgehend aufgebraucht, ohne dass auch nur annähernd die Klimaneutralität erreicht ist. Die CO2-Reduktionslasten werden hierdurch in unzulässiger Weise den zukünftigen Generationen aufgebürdet.
Die Situation stellt sich tatsächlich noch viel verheerender dar, da in den Überlegungen nicht von der Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 1,5 ° C ausgegangen wird. Das CO
2-Restbudget hierfür wäre nach den Vorgaben des Klimaschutzgesetzes bereits 2030 weit überschritten. Zusätzlich droht die Überschreitung von Kipppunkten mit unabsehbaren Folgen für das Leben auf der Erde.

Die extreme Krisensituation beim Klimaschutz hat das Bundesverfassungsgericht gesehen und deshalb den Gesetzgeber verpflichtet, bis zum 31.12.2022 einen generationsgerechten Minderungspfad für die Treibhausgasemissionen vorzulegen.
Zwar hat das Gericht nur angemahnt, dass die Klimaschutzziele für die Zeit ab 2030 bis zum Erreichen der Klimaneutralität 2050 konkretisiert werden müssen. Da aber mit den gegenwärtigen Zielvorgaben des Klimaschutzgesetzes die Pariser Klimaziele weit verfehlt werden, ist zwingend auch eine erhebliche Nachbesserung der Ziele bis 2030 erforderlich.

Bemerkenswert sind auch die Feststellungen des Bundesverfassungsgerichtes, dass jeder Staat seinen fairen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten hat:
„Der nationalen Klimaschutzverpflichtung steht nicht entgegen, dass der globale Charakter von Klima und Erderwärmung eine Lösung der Probleme des Klimawandels durch einen Staat allein ausschließt. Das Klima­schutzgebot verlangt vom Staat international ausgerichtetes Handeln zum globalen Schutz des Klimas und verpflichtet, im Rahmen internationaler Abstimmung auf Klimaschutz hinzuwirken. Der Staat kann sich seiner Verantwortung nicht durch den Hinweis auf die Treibhausgasemissionen in anderen Staaten entziehen.“

Das Urteil ist ein großartiger Erfolg für alle Menschen, die die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen stoppen und damit unseren nachfolgenden Generationen auch eine lebenswerte Zukunft ermöglichen wollen“, so Dr. Wolfgang Strübing, Vorstandsmitglied des Anlegerschutzvereins WindEnergie AWE e.V.. „Offensichtlich bedurfte und bedarf es des massiven Protests der jungen Generation, die beharrlich auf die seit Jahrzehnten bekannten wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Klimawandel und zum Artensterben hinweisen und ein entsprechendes Handeln einfordern.
Man kann es auch auf den Punkt bringen: Der Slogan von Fridays for Future „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!“ ist von den obersten Verfassungshütern gehört worden.
Für die Bundesregierung heißt dies, nun endlich entschlossene Umweltmaßnahmen nicht nur anzukündigen, sondern auch umzusetzen, um schwere Klimaschäden abzuwehren. Dem schnellen Umstieg auf 100% Erneuerbare Energien (EE) bis 2035 kommt hier eine wesentliche Rolle zu. Um eine breite Akzeptanz und Mitwirkung der Bevölkerung an Erneuerbaren Energieprojekten zu ermöglichen, sind die Bundesregierung und alle Unternehmen der EE-Branche zudem aufgefordert, hier faire, demokratische und transparente Grundlagen zu schaffen.“

Weitere Informationen:
Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 29. April 2021 zum Klimaschutz
Leitsätze und Entscheidung des BVerfG zum Klimaschutz vom 24. März 2021
Bundes-Klimaschutzgesetz vom 12.12.2019
Video-Präsentation des Sachverständigenrates für Umweltfragen (SRU) zu den Pariser Klimazielen